Wolfgang Krell • Wohnzimmer Lörrach • 2023 • Foto: Martin Schulte-Kellinghaus

Im «Wohnzimmer Lörrach» ist aktuell zu sehen (von links nach rechts):

Kurztexte

Das Bild ist ein Porträt von Dr. Erwin Gugelmeier (1879 – 1945), der von 1906 bis 1927 Oberbürgermeister von Lörrach war. Es stammt von dem Steinener Maler Hans-Adolf Bühler. Seit dem Amtsende seines Vorgängers Johann Grether hatte die Stadt bestimmt, dass jedes Stadtoberhaupt am Ende der Amtszeit ein gemaltes Porträt für die Bürgermeistergalerie erhält. Zu sehen sind sie im großen Sitzungssaal des Rathauses. Der Jurist Gugelmeier war mit nur 27 Jahren zum ersten hauptamtlichen Oberbürgermeister Lörrachs gewählt worden. Er leitete nachhaltige Schritte zur Modernisierung der Stadt ein. Zu nennen sind vor allem der Bau des heutigen Hans-Thoma-Gymnasiums, die Tramlinie von der Grenze bis zum Bahnhof, das neue Gaswerk und die Gewerbebahn. Während des Krieges gehörte er zu den Initiatoren einer Arbeitslosenversicherung, die auf Kreisebene verwirklicht wurde. Zwischen 1919 und 1927 handelte er mutig und besonnen in schwierigsten wirtschaftlichen und politischen Zeiten. Leider hat man ihm nur das kurze Straßenverbindungsstück von der Teich- zur Weinbrennerstraße gewidmet, was seiner Bedeutung nicht gerecht wird.

(Hubert Bernnat)

Das Bild von der zerstörten Synagoge stammt aus dem Juni 1939. Die Synagoge war am 10. November 1938 in Zusammenhang mit der Reichspogromnacht von Nationalsozialisten so schwer demoliert worden, dass sie Mitte Juni 1939 abgerissen werden musste. Sie stand an der östlichen Ecke Neuer Marktplatz/Synagogengasse. Gleichzeitig nutzten die Nationalsozialisten dies, um einen neuen Marktplatz herzurichten, der gleichzeitig als Aufmarschplatz genutzt werden konnte. Die Synagoge war das erste Gotteshaus für die damals schon über 100 Jahre alte Lörracher jüdische Gemeinde mit 120 Mitgliedern. Sie war wie die evangelische Stadtkirche und die katholische Fridolinskirche in Stetten im klassizistischen Stil des badischen Landesbaumeisters Weinbrenner errichtet worden. Durch die Deportation und schließlich Ermordung der letzten noch in der Stadt lebenden jüdischen Mitbürger am 20. Oktober 1940 kam das Ende der jüdischen Gemeinde. Seit 1995 gibt es in Lörrach wieder eine jüdische Gemeinde, 2008 konnte unweit vom alten Strandort in der Rainstraße die neue Synagoge eingeweiht werden.

(Hubert Bernnat)

Das Bild zeigt den Alten Marktplatz an einem Markttag um 1900. Rechts sieht man das Gasthaus Sonne, dahinter das 1869 neu gebaute Rathaus. Seit dem Mittelalter war der Marktplatz des kleinen Dorfes Lörrach Schnittpunkt zentraler Verkehrs- und Handelsweg, vom Schwarzwald nach Basel und vom Oberrhein zum Hochrhein. Schon seit 1403 hatte Lörrach das Marktrecht. Im 18. und 19. Jahrhundert siedelten sich viele große Wirtschaften. Der Markt war der gesellschaftliche Mittelpunkt der Stadt. 1938 wurde der Wochenmarkt auf den neuen Marktplatz verlegt. Mit zunehmendem Autoverkehr nach 1950 verlor der Marktplatz zusehends seine Bedeutung als gesellschaftlicher Treffpunkt, an dem man gerne verweilte. Viele der Gasthäuser schlossen. Erst mit der Gestaltung der neuen Fußgängerzone vom Senser Platz bis zum Café Pape im Jahre 1991 erhielt der Alt Marktplatz wieder seine alte Bedeutung. Mittlerweile hat sich wieder Gastronomie, die vor allem mit ihrer Außenbewirtung den Platz belebt.

(Hubert Bernnat)

Das Pfaff-Logo hat über Jahrzehnte die Marktplatzsituation geprägt und ist den meisten Lörrachern bekannt. Aus diesem Grund hat Wolfgang Krell das Logo mit in die Wandgestaltung eingebunden.

Das Porträt von Amalie Struve (1824 – 1862) zeigt nicht die Frau an „Gustav Struves Seite“, sondern beide führten eine gleichberechtigte Ehe. Sie wurde in Mannheim als uneheliches Kind geboren. Ihre Mutter heiratete Friedrich Düsar, der Amalie adoptierte. So konnte sie in einer fortschrittlich-demokratisch denkenden Familie aufwachsen. Amalie erhielt eine für ihre Zeit sehr gute Ausbildung an einem privaten Mädcheninstitut mit der Option Lehrerin zu werden. Mit ihren guten Englisch- und Französisch-Kenntnissen unterstützte sie die Familie mit Sprachunterricht. 1845 lernte sie den fast 20 Jahre jüngeren Rechtsanwalt Gustav Struve kennen und sie heirateten im gleichen Jahr. Sie überwanden die Missachtung, die Amalie wegen ihrer unehelichen Geburt und ihrer emanzipatorischen Haltung selbst in revolutionären Kreisen ertragen musste. Sie schrieb: „Fürwahr, so lange selbst im Sturm der Revolution so viele Rücksichten auf hergebrachte Vorurteile genommen werden, wird das Joch der Tyrannei nicht gebrochen werden.“ Sie kämpfte auch in den Revolutionsjahren 1848/49 zusammen mit ihrem Mann und litt darunter, dass sie beim so genannten Struve-Putsch am 21. September 1848 nicht mit an der Spitze in Lörrach wegen des Widerstandes der Männer einmarschieren durfte. Sie nahm nach dem Scheitern des Aufstands tapfer ihre Gefängnishaft hin. Gemeinsam mit ihrem Mann war sie auch eine Vorkämpferin einer vegetarischen, asketischen und lebensreformerischen Lebensweise. Sie begleitete 1849 ihren Mann ins Exil zuerst nach England und dann in die USA. Publizistisch engagierte sie sich weiter für Frauenrechte. Sie starb 1862 noch sehr jung nach der Geburt des dritten Kindes.

 

(Hubert Bernnat)

Langtexte

Die Bürgerausschusswahl 1906 in Lörrach entwickelte sich zur Frage der politischen Kräfteverhältnisse und gewann dadurch an Bedeutung, dass der Bürgerausschuss auch den Bürgermeister zu wählen hatte. Noch immer wurde bei den Bürgerausschusswahlen nach einem Dreiklassenwahlrecht gewählt, das bis dahin den Freisinnigen seit Jahrzehnten eine unangefochtene Mehrheit beschert hatte. Der von 1972 bis 1906 amtierende Johann-Josef Grether gehörte den Freisinnigen an und konnte es sich als begüterter Mann leisten, ohne großes Gehalt die Stadt nebenamtlich zu führen. Doch die drei oppositionellen Parteien  aus Zentrum, Sozialdemokraten und Nationalliberalen wollten einen auswärtigen Berufsbürgermeister, damit er unbeeinflusst von den hier herrschenden politischen Verbindungen und gewachsenen Strukturen sein Amt unparteiisch ausüben könne und da nur so die Zukunftsaufgaben der auf 12.000 Einwohner angewachsenden Industriestadt zu bewältigen seien.

Diese Bürgerausschusswahlen änderten die politischen Verhältnisse in Lörrach vollkommen. Die Nationalliberalen erhielten 21 (bisher 10), die SPD 20 (20), das Zentrum 12 (4) und die Freisinnigen nur noch 19 (38) Sitze. SPD, Zentrum und Nationalliberale hatten sich zuvor schon auf den erst 27-jährigen Juristen Dr. Erwin Gugelmeier als Kandidaten geeinigt. Gugelmeier war als Sohn eines Postmeisters in Bühl geboren, die Familie stammte aber ursprünglich aus Auggen. Berufliche Erfahrung hatte er durch vielfältige Tätigkeit im öffentlichen Dienst gesammelt, zuletzt als Stadtrechtsrat in Baden-Baden. Dem jungen Juristen traute man eine dynamische Zukunftsentwicklung und die Führung einer effizienten Verwaltung zu. Zudem war und ist er in der bisherigen Lörracher Bürgermeistergeschichte mit 27 Jahren der jüngste Berufsanfänger.

Bald darauf wählte der Bürgerausschuss einstimmig, also auch mit den Stimmen des Freisinns, Dr. Erwin Gugelmeier, der der Nationalliberalen Partei angehörte, zum neuen Bürgermeister. Da Gugelmeier als offen und sozial galt, war er für SPD und Zentrum akzeptabel. Die sozialdemokratische „Volkswacht“ kommentierte den Vorgang später folgendermaßen: „Wie wurde der Weg freigemacht? Kurz gesagt dadurch, daß unser Genosse Goll, der katholische Stadtpfarrer und der nationalliberale Parteiführer, Rechtsanwalt Schmidt, Arm in Arm durch die Straßen Lörrachs spazierten, gegen den auf dem Rathaus jahrzehntelang eingenisteten kleinbürgerlichen Freisinn, unter dessen Herrschaft eine großzügige und soziale Gemeindepolitik nicht zu erwarten war.“ Das „Markgräfler Tagblatt“ schrieb während des Kommunalwahlkampfs über die Lörracher Verhältnisse: „Daß die politische Zusammensetzung der Lörracher Wählerschaft eine merkwürdig buntscheckige ist wie wohl in keiner anderen badischen Stadt, ist bekannt.“ Es war das erste Mal in der Lörracher Geschichte, dass es um die Position des Bürgermeisters eine solche parteipolitische Auseinandersetzung gegeben hatte. Gugelmeiers Position hat sie allerdings nicht geschwächt.

Bei seiner Bewerbung hatte Gugelmeier den Ausbau der Volksschule, die Förderung der Volksbildung, Fürsorge für Arme und Kranke, Einrichtung einer Gesundheits-, Wohnungs- und Baupolizei, Integration der Arbeiter und den Bau von Straßen und Anlagen als vordringlich genannt und ein Programm für eine moderne Stadtverwaltung entwickelt. Zudem war eine heikle Zukunftsfrage zu lösen: die Eingemeindung Stettens. Die Stadt brauchte Gebiet für die weiterwachsende Bevölkerung, Stetten konnte die mit dem Bau des Arbeiterviertels Neustetten verbundenen Probleme nicht verkraften. Die alte Schule platzte aus allen Nähten. Einen Neubau konnte man sich ebenso wenig leisten wie Wasserleitungen und Kanalisation, um nur die drängendsten Probleme zu nennen. Doch waren die 1904 noch unter Grether begonnenen Verhandlungen ins Stocken geraten. Gugelmeier gelang es, die Bedenken der Altstettener zu überwinden. Im April 1908 wurde die Vereinigung vollzogen. Es ist die einzige Eingemeindung in Lörrach, die nicht durch Druck von oben, sondern aus dem Willen der Partner entstanden und wohl deshalb so erfolgreich ist.

Genauso zielstrebig ging Gugelmeier die Schulfrage an. Um die Raumprobleme in Lörrach, wo die Hebelschule nicht mehr ausreichte, und Stetten zu lösen, wurde auf dem Niederfeld, auf der Grenze zu Stetten, bis 1911 ein neues, mächtiges Schulgebäude mit markantem Turm fertiggestellt. Das heutige Hans-Thoma-Gymnasium beherbergte eine Volksschule, dazu eine Realschule als neuen Schultyp, aus dem 1926 eine Oberrealschule mit Abitur wurde. Gugelmeier erkannte, dass man neben Volksschule und humanistischem Gymnasium noch einen dritten Bildungsweg braucht, um den wachsenden Bedarf an Facharbeitern zu decken. Er wollte auch einen Neubau des Pädagogiums, dem späteren Hebel-Gymnasium, das in der alten Tabakmanufaktur, dem heutigen Dreiländermuseum, nur unzureichend untergebracht war. Dies lehnte das badische Kultusministerium ab, da im alten Gebäude noch Johann Peter Hebel unterrichtet hatte. So erfolgte der Umzug erst 1960.

Entscheidende Änderungen gab es in der Stadtverwaltung. Gugelmeier regelte erstmals die Dienst- und Gehaltsordnung in der Stadtverwaltung und weitete diese um Fachkräfte aus. Nur so konnten die Aufgaben im Bereich Schulhausbau, Ausbau der Energieversorgung und Verkehrsführung bewältigt werden. Zudem schuf er eine Technische und eine Finanzkommission, in denen auch sachkundige Bürger an den Beratungen teilnehmen konnten. So wurden Strukturen geschaffen, die den heutigen Verhältnissen ähnlich sind. Durch zu sparsame Stellenbesetzung und Bezahlung unter Grether war die Stadt zuletzt kaum mehr funktionsfähig gewesen. 1907 initiierte er die Errichtung des Hebeldenkmals, das 1910 im Hebelpark eingeweiht werden konnte. Auch den Bau einer zollfreien Straße nach Weil wollte er, ebenso wie die Weiterführung der Tramlinie von Riehen bis zum Lörracher Bahnhof. Ja, es gab sogar Pläne, diese über Tumringen, Haagen, Hauingen bis nach Brombach weiterzuführen. Sitz der Stadtverwaltung war immer noch das alte, viel zu kleine Rathaus in der Wallbrunnstraße. Gugelmeier ließ 1913 das alte Amtshaus am Marktplatz abreißen. Wo heute der Durchgang zum neuen Marktplatz ist, sollte ein neues, dringend notwendiges Rathaus entstehen. Noch im April 1914 hatte der Bauausschuss den Bau eines neuen Rathauses beschlossen. Gugelmeier hatte den wichtigen Blick für die Öffnung nach außen, vor allem nach Basel. Seine Politik spiegelte den großen Optimismus und die Aufbruchstimmung dieser Zeit in Lörrach wider.

Der 1914 beginnende Erste Weltkrieg verhinderte vieles. Die Tramverbindung mit Riehen kam zwar im November 1919, doch ein neues Rathaus wurde erst 1976 fertig, die zollfreie Straße ist sogar erst 2013 eingeweiht worden. Für die Stadtverwaltung stellten sich im Ersten Weltkrieg, auch wegen der Grenzlage, ganz andere und neue Aufgaben. Alles war dem Krieg untergeordnet. Die 1915 eigentlich anstehende Bürgermeisterwahl wurde aufgehoben, da im Krieg generell keine Wahlen stattfanden. 1917/18 übernahm Gugelmeier so auch das Reichstagsmandat für den verstorbenen Ernst Blankenhorn aus Müllheim. Gugelmeier gehörte nicht zum großen nationalistischen Flügel seiner Partei, sondern hielt Kontakt mit den Reformparteien SPD, Zentrum und Fortschritt und arbeitete in der Erwerbslosenfrage eng mit den Gewerkschaften zusammen. Denn mit der Erwerbslosenfürsorge Lörrach hatte Gugelmeier ein Modell geschaffen, an dem sich Reich, Unternehmer und einige umliegende Gemeinden beteiligten. Gegen Kriegsende ließ er 30 – 40 Hammel im städtischen Schlachthof eigentlich illegal schlachten, um die Not der Menschen zu lindern. Nach Kriegsende schloss er sich auch der neugegründeten linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei an.

Gerade hier im badischen Dreiländereck massierten sich mit Kriegsende die Probleme. Lörrach war Demobilisierungsort für tausende bewaffnete und desillusionierte Soldaten, die Wirtschaft lag danieder, da die gewachsenen Verbindungen in die Schweiz und ins Elsass gekappt waren. Wohnungsnot und Versorgung mit den wichtigsten Gütern des täglichen Bedarfs waren kaum mehr zu steuern. Revolution und die neue demokratische Republik weckten Hoffnung, ohne die Probleme aber lösen zu können. Bürgermeister Gugelmeier stellte sich mutig der Situation, ohne dafür verantwortlich zu sein und mit geringen Spielräumen zur Entspannung. Dennoch wirkte sein Handeln ausgleichend und beruhigend, wenn auch nicht immer mit Erfolg.

Im folgenden Beispiel schildert Gugelmeier auf drastische Art und Weise die damaligen Verhältnisse: „Als ich in einer Versammlung im Kühlen Krug [im März 1919] Aufklärung gab, sammelten sich erregte Menschen auf der Straße, gingen gegen mich vor und es gelang mir nur mit Mühe, durch die Menge hindurchzukommen. Die mir zugedachten Schüsse gingen zwar fehl, aber städtische Schutzleute wurden mißhandelt und verwundet.“ Anwesende Mitglieder des revolutionären Volksrats hatten sich schützend vor Gugelmeier gestellt und ihm so wohl das Leben gerettet. Wie hoch sein Ansehen war, zeigte sich nach den Bürgerausschusswahlen im Mai 1919. Diese Wahl fand nun unter demokratischen Verhältnissen unter Einschluss des Frauenwahlrechts statt. Immer noch wählte der Bürgerausschuss das Stadtoberhaupt. Doch auch das neue Stadtparlament votierte einstimmig für Gugelmeier. Seine überörtliche Bedeutung ist dadurch belegt, dass er 1919 Vorsitzender des badischen Städtebundes wurde. Zudem sorgte er mit Unterstützung als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme 1921 für den Bau des neuen Gaswerks an der Wiesentalstraße und zusammen mit Unternehmen für den Bau einer Gewerbebahn, die beim heutigen Wasserwerk von der Wiesentalbahn abzweigte und vor allem bis zu den Textilfabriken am Gewerbekanal führte.

1922 war die Stadt nach der neuen Gemeindeordnung nun „Stadt“ geworden und damit nicht mehr dem Bezirksamt, sondern dem Landeskommissariat in Freiburg, vergleichbar dem Regierungspräsidium, unterstellt. In der Folge wurde Gugelmeier ein Jahr später Oberbürgermeister und eine Stadtrechtstelle wurde geschaffen, die man ein Jahr später zur 2. Bürgermeisterstelle aufwertete. Die Begründung waren die vermehrten Aufgaben. Die Jahre bis 1923 blieben äußerst schwierig, geprägt von Unruhen, teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen und fortschreitender Radikalisierung. Die KPD spielte in Lörrach eine immer stärkere Rolle, rechtsextremistische Gruppierungen wie die NSDAP trieben schon ihr Unwesen. Schlimmer Höhepunkt war das Jahr 1923 mit seinen Inflationsunruhen und bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen im September. Auch hier bewährte sich Gugelmeier, der mit den vernünftigen Kräften auf Seiten der Gewerkschaften, der Unternehmer und dem Leiter des Bezirksamtes Dr. Gräser zusammenarbeitete und so oft Schlimmeres verhindern konnte. Doch Gräben blieben und die Arbeiterschaft folgte immer mehr der KPD, während die Sozialdemokraten an Einfluss verloren.

Die großen Pläne der Vorkriegszeit konnten nicht mehr verwirklicht werden, auch nicht, als sich ab 1924 die Verhältnisse langsam zu beruhigen begannen. Dennoch geschah einiges: „Am Leuselhardt, an der Schwarzwaldstraße, in Neustetten, an der Damm- und Weiler Straße entstanden neue Wohnsiedlungen.“ Gugelmeier kümmerte sich auch um Konzerte und Theateraufführungen. Ein Wöchnerinnenheim, ein Säuglingsheim, ein Kinderheim und eine Volksküche wurden eingerichtet. Die Kanalisationen konnte erweitert und die Stromversorgung durch Verträge gesichert werden. Selbst das Thema Rathauskapazität wurde wieder angegangen. 1921 wurden auf dem abgerissenen Platz des Amtshauses Baracken für die aus allen Nähten platzende Stadtverwaltung aufgestellt. 1926 wurde beschlossen, in die Villa Favre als neuen Hauptsitz einzuziehen. Das alte Rathaus in der Wallbrunnstraße und die Baracken wurden für einige Abteilungen beibehalten, das Stadtbauamt in den oberen Räumen des Markgräfler Hofes untergebracht.

1927 erhielt Gugelmeier einen Ruf als Leiter des Badischen Giro- und Sparkassenverbandes nach Mannheim. Wohl auch ermüdet von den vielen Auseinandersetzungen und der schwierigen Lage nahm er ihn an. Er war erst 48 Jahre. In den ganzen 21 Jahren seiner Amtszeit war Gugelmeier ein Glücksgriff für die Stadt. „Ohne Rücksicht auf Zustimmung oder Opposition werde ich, meinem Gewissen folgend, das beste für die Stadt tun“, gelobte er auf der Bürgermeisterfeier 1906 im Hirschensaal. „Achse jeglicher Kommunalpolitik ist die Finanzpolitik, wobei freilich auch der Mut zu Zukunftsinvestitionen nicht fehlen und nicht nur kostengünstige Haushaltsdeckung im Vordergrund stehen darf. Hier gilt es unter Beachtung der Eigenart der hiesigen Verhältnisse das Richtige zu finden.“ Beides hat er erfüllt.

Im November 1927 wurde er feierlich verabschiedet und zum Ehrenbürger Lörrachs ernannt, „deren Geschicke er in schwerster Zeit mit stets vorbildlicher Umsicht, Gerechtigkeit und Pflichttreue… geleitet und für deren aufblühende Entwicklung er sich unvergessliche Verdienste erworben hat.“ Auch von Basler Seite wurden seine guten Beziehungen zur Nachbarstadt ausdrücklich gewürdigt. Hans Adolf Bühler aus Steinen wurde von der Stadt beauftragt, ein Porträt zu malen. Dabei wurde Bühler, ein anerkannter Schüler Hans Thomas, schon 1930 Vorsitzender der Ortsgruppe Karlsruhe des nationalsozialistisch gelenkten „Kampfbundes für deutsche Kultur“. Im Vergleich zur Gretherstraße trägt allerdings nur ein kleines Straßenstück, die Abzweigung von der Teich- zur Weinbrennerstraße, Gugelmeiers Namen. Dabei hat er Lörrach wesentlich mehr geprägt als Grether. In den letzten Kriegstagen soll er mit seiner Familie auf tragische Weise ums Leben gekommen sein.

 

(Hubert Bernnat)

Das Bild von der im Zusammenhang mit der Reichspogromnach am 10. November 1938 zerstörten Lörracher Synagoge stammt aus der Sammlung des Dreiländermuseums. Die Fotografie zeigt den Zustand kurz vor dem Abriss Mitte Juni 1939. Sie stand an der östlichen Ecke heutiger Neuer Marktplatz/Synagogengasse. Diese erste Lörracher Synagoge war schon im Jahre 1808 gebaut worden. Interessant ist, dass zwischen 1808 und 1822 sowohl der Bau der jüdischen Synagoge als auch die Neubauten von evangelischer Stadtkirche und katholischer Fridolinskirche in Stetten im Weinbrennerstil erfolgten. Weinbrenner, der sich an der römischen Antike orientierte, war der damalige Landesbaumeister im 1806 gebildeten Großherzogtum Baden. Nach ihm ist die Weinbrennerstraße als Fortsetzung der Spitalstraße bis zum Aichele-Park benannt. Die Kirchenneubauten sollten den Aufstieg Lörrachs seit der Stadterhebung von 1756 symbolisieren. In Lörrach lebten 1810 rund 1800 Einwohner, in Stetten gut 600. Die jüdische Gemeinde in Lörrach umfasste 120 Personen, acht Juden lebten in Tumringen. Seit 150 Jahren hier sesshaft betrachteten sie die Stadt als ihre Heimat. Doch sie hatten unter den letzten Kriegszeiten mehr zu leiden, da sich ihre Handelsgeschäfte kaum rentierten und sie immer noch Schutzgeld zahlen mussten. Ihre Gottesdienste hielten sie zuerst in Privaträumen, dann in einem angemieteten Saal ab.

Aber seit 1801 bemühte man sich um den Bau einer Synagoge. Man wollte damit sogar, unterstützt von Landvogt von Kalm, zur Verschönerung des Stadtbildes beitragen. Doch die Suche nach einem Bauplatz und die Baugenehmigung zogen sich hin. Nicht jeder wollte eine Synagoge in seiner Nachbarschaft haben. Schließlich konnte hinter einem Anwesen in der Teichstraße ein Grundstück erworben werden, das an den heutigen neuen Marktplatz grenzte, der damals noch Garten- und ödes Grasland war. Der heutige Durchgang zwischen altem und neuem Marktplatz war noch durch das 1913 abgerissene Amtshaus versperrt. Der Standort mit Zugang von der Teichstraße war damit im Stadtbild kaum sichtbar.  Probleme bereitete die Baufinanzierung. Die sehr arme Gemeinde konnte mit „außerordentlicher Opferbereitschaft“ gerade die Hälfte aufbringen. Erst ein Kredit zweier Basler Juden verhalf 1807 zum Baubeginn. Die Pläne wurden durch den Lörracher Werkmeister J.J. von Rebstock im Weinbrennerstil erstellt und vom Großherzoglichen Hofrat genehmigt. Die 1808 eingeweihte Synagoge gilt als ein „Dokument der ersten, der strengsten Stufe des Weinbrennerschen Klassizismus“. Seit 1760 benutzten die Juden auch den alten Friedhof am Schützenwald, der 1900 als zu klein stillgelegt wurde. Ein neuer Friedhof wurde an den heutigen Lörracher Hauptfriedhof angegliedert.

1862 wurden die Juden im Großherzogtum Baden staatsbürgerlich gleichgestellt, waren gesellschaftlich aber immer noch nicht in allen Bereich anerkannt. In Lörrach lebte die jüdische Gemeinde trotz einiger antisemitischer Anfeindungen weitgehend in guter Nachbarschaft mit den christlichen Konfessionen. Erst mit dem stärker Werden der Nationalsozialisten ab 1930 und vor allem mit der Machtergreifung 1933 wurde der Druck auf und die Hetze gegen die 200 jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger immer stärker. Der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933, die Nürnberger Rassegesetze von 1935 und die Arisierung der Wirtschaft 1938 führten zu ersten Fluchtbewegungen, die über die nahe Grenze in die Schweiz zu dieser Zeit noch möglich war. Schlimmer Höhepunkt war dann die reichsweite von oben befohlene Zerstörung der Synagogen in Deutschland am 9. und 10. November 1938.

Der Vorgang in Lörrach wird in einem Schriftstück der Staatsanwaltschaft vom „Lörracher Synagogenprozess“ in Freiburg wie folgt geschildert: „… etwa zwischen 9 und 10 Uhr morgens [am 10.11.1938] rottete sich … eine kleine Gruppe besonders zuverlässiger Parteianhänger, in der Hauptsache SA-Angehörige, zum Teil in Uniform, verschafften sich gewaltsam dadurch, daß G. mit einem Hammer die Haupttüre zur Synagoge einschlug, Eingang und zertrümmerten gemeinsam das Innere der Synagoge. Unter großem Tumult wurde ein Volksaufstand in Szene gesetzt und mit etwa 30 bis 40 Personen … der Kronleuchter zerstört, Bänke umgeworfen und von der Empore heruntergeworfen, der Altar zertrümmert, Inschriften beseitigt und die steinerne Gebetstafel am Eingang der Synagoge herausgerissen. Wenige Tage später wurde das Zerstörungswerk unter … Zuziehung der städtischen Arbeiter … fortgeführt. Obwohl die Synagoge noch nicht einsturzgefährdet war, entschloß man sich, einen auf dem Dach befindlichen Lichtständer zu entfernen und das Dach bewußt so zu schädigen, daß es später einstürzen und das Innere der Synagoge weiter der Witterung ausgesetzt sein sollte … Die Synagoge wurde in der Zeit vom 8. Mai bis 13. Juni 1939 zusammen mit einem Anwesen Bloch abgetragen.“ Genau in diesem Zeitraum wurde das ausgestellte Foto gemacht.

Die Zerstörung der Synagoge war auch ganz im Sinne der städtebaulichen Planung. Denn man wollte das Areal des heutigen Neuen Marktplatzes repräsentativ ausbauen. Schon bald nach der Zerstörung der Synagoge hatte man den Platz befestigt und den Markt hierher verlegt. Und fünf Tage nach Beendigung des Abrisses im Juni 1939 feierten die Nationalsozialisten in Anwesenheit von Gauleiter Robert Wagner auf dem neuen Marktplatz in einer riesigen Propagandaschau ihren Kreisparteitag. Das war nur wenige Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Hier spielte sich in aller Öffentlichkeit auch das schändliche Schauspiel des Endes der jüdischen Gemeinde ab. Die letzten noch in Lörrach lebenden rund 60 Jüdinnen und Juden, zumeist ältere Menschen, wurde von hier aus am 20. Oktober 1940 zur Sammelstelle auf dem Güterbahnhof in Freiburg gebracht. Von dort ging es in Güterwaggons letztlich in das Sammellager Gurs am Rande der Pyrenäen. Die landesweite Aktion war das „Geschenk“ von Gauleiter Wagner zum Sieg Hitlers über Frankreich: Baden sollte der erste „judenfreie“ deutsche Gau sein. Wenige konnten von Gurs entkommen, etliche starben an den katastrophalen Zuständen im Lager. 1942 wurden die dort Überlebenden auf einem Weg von über 2000 Kilometer nach Osten ins Vernichtungslager Auschwitz transportiert und ermordet. Nachweislich 52 jüdische Lörracher Mitbürgerinnen und Mitbürger fielen so der verbrecherischen nationalsozialistischen „Endlösung“ zum Opfer. Eine Tafel in der Synagogengasse am Durchgang zum Neuen Marktplatz erinnert an den Standort der Synagoge, eine Stele in Teichstraße an die Ermordeten. Seit 1995 gibt es in Lörrach wieder eine jüdische Gemeinde, 2008 konnte unweit vom alten Strandort in der Rainstraße die neue Synagoge eingeweiht werden.

 

(Hubert Bernnat)

Das Bild zeigt den Alten Marktplatz an einem Markttag um 1900. Der Blick ist gerichtet vom heutigen Dreikönig Richtung Wallbrunnstraße, wohin sich der Markt ausgebreitet hatte. Man erkennt rechts Gasthaus Sonne (Heute Buchhandlung Osiander), das erst 1909 umgebaut und um einen Stock erhöht wurde und dahinter das Alte Rathaus nach dem Neubau von 1869 (heute Volkshochschule). Im Vordergrund rechts steht eine Litfaßsäule, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Anschlag- und Werbemedium in den Städten Europas verbreitete. Jahrhundertelang war der Marktplatz in Lörrach der gesellschaftliche Mittelpunkt, hier kreuzten sich die wichtigen Verkehrs- und Handelswege. Und lange Zeit standen diese drei Funktionen auch in keinem Widerspruch zueinander.

Doch nach 1950 verlor der Marktplatz zunehmend seine Bedeutung als Ort der Begegnung, des Austausches und Verweilens und auch die Handelswege waren nicht mehr auf den Marktplatz angewiesen. Die meisten einst großen Wirtschaften um den Marktplatz schlossen mit der Zeit. Dafür hatte der automobilisierte Verkehr überhandgenommen, der mitten durch die Innenstadt über den Marktplatz geführt wurde. Zwischen 1919 und 1967 hatte sogar das historische „Trämli“ über den Marktplatz verkehrt. Zwar hatte man schon länger versucht, die Innenstadt vom Autoverkehr zu entlasten. Doch bis zur Einrichtung der Fußgängerzone führten die B 317 aus dem Wiesental durch die Turmstraße und die B 316 von der Lucke über den alten Mark nach Basel oder Rheinfelden über den Marktplatz. Die enge Tallage begrenzte Umfahrungsmöglichkeiten, zumal sich auf einem breiten Streifen zwischen Wiese und Gewerbekanal die Textilindustrie angesiedelt hatte. Der Wochenmarkt war seit Ende 1938 auf den neuen Marktplatz verlegt worden, an dem es aber bis auf die traditionsreiche „Eintracht“ keine Gastronomie gab. Zumal dessen städtebauliche Entwicklung eigentlich erst später begann. Das änderte sich erst wieder, als Lörrachs Oberbürgermeister Rainer Offergeld am 17. September 1991 auf dem Alten Marktplatz die neue Fußgängerzone vom Senser Platz bis zum Café Pape einweihte. So geschahen gleichzeitig zwei Dinge von nahezu historischem Ausmaß für die Stadt. Zum einen wurde der alte Marktplatz wieder zum gesellschaftlichen Mittelpunkt der Stadt, zum anderen verlor er nun endgültig seine Rolle als zentrale Verkehrsachse.

Dabei hatte Lörrach seine Bedeutung ja gerade dem Schnittpunkt wichtiger Handels- und Verkehrswege zu verdanken. Eine Rekonstruktion des Ortsbildes aus dem Spätmittelalter zeigt dies deutlich. Der Marktplatz stand schon damals im Mittelpunkt des kleinen Fleckens Lörrach mit wenigen hundert Einwohnern. Schon 1403 erhielt Lörrach das königliche Privileg, einmal im Jahr einen Jahrmarkt und jeden Mittwoch einen Wochenmarkt abzuhalten. Initiator dürfte Markgraf Rudolf III. von Baden gewesen sein. Es war wohl ein Versuch, eine Stadt als Gegengewicht zum mächtigen Basel mit seinen mehreren tausend Einwohnern zu begründen. Die Basler stimmten zwar der Marktgründung zu, taten aber in der Folge einiges, um diesen Markt nicht groß werden zu lassen. Dies lag aber auch daran, dass die Markgräfler Bauern bis ins 19. Jahrhundert lieber auf dem Basler Markt verkauften. Dort gab es nicht nur mehr Nachfrage und damit bessere Preise, sondern es ermöglichte den bäuerlichen Marktbeschickern auch einen verführerischen Einblick in das vielschichtige städtische Leben.

Lörrachs Bedeutung begann erst mit der Zerstörung der Röttler Burg 1678, als die Markgrafen ihren Amtssitz in das Dorf Lörrach verlegten. Der Ort wurde 1682 zur Amtsstadt für den Bezirk Rötteln-Sausenberg erhoben. Landvogt von Gemmingen begründete dies gegenüber dem Markgrafen damit, „daß dieser Flecken Lörrach wegen seiner commoden Situation und Hauptstraß aus dem Schwarzwald gegen Basel zu einem Städtlein gemacht werden kann.“ Lörrach durfte nun sogar einen weiteren Jahrmarkt verbunden mit einem Vieh- und Pferdemarkt abzuhalten. 1756 gewährte der Markgraf Stadt und Handel weitgehende „Rechte und Freiheiten“, weitere Markttage wurden genehmigt. Mit dem Bau eines Rathauses und der dort befindlichen Kornkammer und Fruchtwaage sollte der Getreidehandel gestärkt werden. Doch das Marktgeschehen prosperierte immer noch nicht richtig. So heißt es in einer Beschreibung um 1800: „Die wirtschaftliche Herrin des ganzen Gebiets war doch die Marktstadt Basel. Alle Straßen kamen von Basel und führten nach Basel. Alles was diese gesegneten Gelände [gemeint ist das Markgräflerland] hervorbrachten, wurde zu Basel in Geld verwandelt. Ochsen und Pferde, Wein und Holz, Getreide und Kraut. Und alles, was die Familien an Hausrat und Kleidung und fremdländischen Waren brauchen, erhielten sie von Basel.“

Dabei ändert sich in Lörrach einiges. Am und um den alten Marktplatz etablieren sich große Gasthäuser: Wilder Mann, Sonne, Ochsen (später Storchen), Schwanen, Drei König, Hirschen, Krone, Adler (später Meyerhof). Schon 1838 leistete sich Lörrach einen neuen markanten Platzbrunnen, wie er ursprünglich hieß, groß dimensioniert für einen Ort mit kaum 2.500 Einwohnern. Hergestellt wurde er von dem Solothurner Künstler Urs Bargetzi aus hellem Jurakalkstein. Er ist eine Nachbildung eines Brunnens auf dem Münsterberg in Basel. Vielleicht wollte man damit den Baslern imponieren. Und wo einst die Dorflinde gestanden hatte, beschatteten jetzt Kastanien das Marktleben. Doch der Marktplatz geriet zunächst politisch in den Mittelpunkt. Gustav Struve marschierte am 21. September 1848 in Lörrach ein. Es war Donnerstag und Jahrmarkt, was ihm viel Publikum bescherte. Das verstärkte den Eindruck, die Lörracher hätten Struve bei Ausrufung der Republik begeistert unterstützt.

Neben dem Wochenmarkt gab es zwischen 1682 und 1955 auch einen Vieh- und Pferde- sowie einen Schweinemarkt. Dieser wurde am heutigen Engelplatz im ältesten Lörracher Stadtteil, der „Ufhabi“, abgehalten. Die Viehmarktage waren im 19. Jahrhundert Festtage mit tausenden von Besuchern.Der Wochenmarkt blühte erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf, Industrialisierung und schnell wachsende Bevölkerung sorgen dafür. 1892 wurde ein dritter Tag für den Wochenmarkt eingeführt. Auf dem Platz wurde es eng und der Markt dehnte sich in die angrenzende untere Wallbrunn- und Basler Straße aus. Daher wurde der Jahrmarkt ab 1878 an verschiedene Plätze ausgelagert. Der Marktplatz selbst wurde nun tatsächlich „das wirtschaftliche Gepräge des Stadtmittelpunkts“. Die Enge auf dem alten Marktplatz sollte nach 1900 zusammen mit dem geplanten Neubau eines Rathauses durch Erweiterung nach Westen gelöst werden, hin zum heutigen neuen Marktplatz. Der Abriss des alten Amtshauses 1913 schuf die Lücke für den heute noch bestehenden Durchgang. Doch der Erste Weltkrieg verhinderte weitergehende Ausbaupläne. In der Weimarer Republik war der Marktplatz auch Schauplatz vieler großer Demonstrationen und Kundgebungen mit mehreren tausend Teilnehmern.

Nach der Zerstörung der Synagoge am 10. November 1938 begannen die Nationalsozialisten ihr schon länger geplantes städtebauliches Vorhaben unter dem zynischen Motto „Unser Markt soll schöner werden“ zu verwirklichen. Man begann den nun neuen Marktplatz zu befestigen und der Wochenmarkt wurde dorthin verlegt. Der Platz diente zudem als Aufmarschgelände für große Propagandaveranstaltungen. Der Alte Marktplatz wurde in Platz der SA, der neue nach dem badischen Gauleiter in Robert-Wagner-Platz umbenannt. Nach 1945 diente der neue Marktplatz als Parkplatz. Die städtebauliche Gestaltung darum begann mit dem Abriss des Altbestands am westlichen Rand und dem Neubau des Hochhauskomplexes 1972. Der Verkehr wurde von der Spitalstraße in die Weinbrennerstraße verlegt. 1981 wurde zudem die autofreie Neugestaltung des neuen Marktplatzes fertig, wofür die KBC anlässlich ihres 225-jährigen Bestehens den in der Mitte platzierten Lebensbrunnen gestiftet hatte.

Mit Eröffnung der Fußgängerzone 1991 unter Einbeziehung des alten Marktes begann dieser zum Mittelpunkt gesellschaftlichen Lebens zu werden. 1992 hatten Konrad Winzer und Hanspeter Gerber den Mut, im Haus des „Wilden Mann“ wieder eine Wirtschaft zu eröffnen, 310 Jahre nach dem Anfang. Zudem wagten sie es, Außengastronomie anzubieten. Diese wurde in einem Maße angenommen, dass schon 1996 mit dem „Alt Stazione“ ein weiterer Gastro-Betrieb nachzieht. Die Sanierung des Rumpel damals mit Migros als Magnet und die Neubebauung des Storchenareals hatten dies möglich gemacht. Schon am 4. Juli 1994 begannen im Rahmen des Stimmen-Festivals die Marktplatzkonzerte mit Patricia Kaas als Hauptact. 3000 Besucher kamen. Der alte Markt erlebte eine Aufwertung, wie es sich wohl nur wenige in Lörrach hätten vorstellen können. Auch ohne Verkehr und Wochenmarkt spielt sich hier wieder „das“ Leben ab. Weitere Gastro-Betriebe haben geöffnet. Die sorgfältige Restaurierung der Häuser „Drei König“ und „Sonne“ haben ihr Übriges dazu getan. Veranstaltungen aller Art, Kundgebungen und Wahlkämpfe haben hier wie selbstverständlich wieder ihren Platz. Und wenn nur wenige Sonnenstrahlen sich zeigen, ist der Alte Marktplatz gut gefüllt. Und es braucht dann nicht viel Fantasie, um das Gefühl zu haben, in der „Toskana Deutschlands“ zu sein. Mit der Widerbelebung des Alten Marktplatzes hat sich die Stadt wieder ein Stück ihrer Geschichte zurückgeholt.

 

(Hubert Bernnat)

Das Pfaff-Logo hat über Jahrzehnte die Marktplatzsituation geprägt und ist den meisten Lörrachern bekannt. Aus diesem Grund hat Wolfgang Krell das Logo mit in die Wandgestaltung eingebunden.

Das Porträt von Amalie Struve (1824 – 1862) zeigt nicht die Frau an „Gustav Struves Seite“, sondern beide führten eine gleichberechtigte Ehe. Sie wurde in Mannheim als uneheliches Kind geboren. Ihre Mutter heiratete Friedrich Düsar, der Amalie adoptierte. So konnte sie in einer fortschrittlich-demokratisch denkenden Familie aufwachsen. Amalie erhielt eine für ihre Zeit sehr gute Ausbildung an einem privaten Mädcheninstitut mit der Option Lehrerin zu werden. Mit ihren guten Englisch- und Französisch-Kenntnissen unterstützte sie die Familie mit Sprachunterricht. 1845 lernte sie den fast 20 Jahre jüngeren Rechtsanwalt Gustav Struve kennen und sie heirateten im gleichen Jahr. Sie überwanden die Missachtung, die Amalie wegen ihrer unehelichen Geburt und ihrer emanzipatorischen Haltung selbst in revolutionären Kreisen ertragen musste. Sie schrieb: „Fürwahr, so lange selbst im Sturm der Revolution so viele Rücksichten auf hergebrachte Vorurteile genommen werden, wird das Joch der Tyrannei nicht gebrochen werden.“ Sie kämpfte auch in den Revolutionsjahren 1848/49 zusammen mit ihrem Mann und litt darunter, dass sie beim so genannten Struve-Putsch am 21. September 1848 nicht mit an der Spitze in Lörrach wegen des Widerstandes der Männer einmarschieren durfte. Sie nahm nach dem Scheitern des Aufstands tapfer ihre Gefängnishaft hin. Gemeinsam mit ihrem Mann war sie auch eine Vorkämpferin einer vegetarischen, asketischen und lebensreformerischen Lebensweise. Sie begleitete 1849 ihren Mann ins Exil zuerst nach England und dann in die USA. Publizistisch engagierte sie sich weiter für Frauenrechte. Sie starb 1862 noch sehr jung nach der Geburt des dritten Kindes.

 

(Hubert Bernnat)